Die Farbe meiner Haut

Über die Diskussion um kriminelle jugendliche Ausländer habe ich bislang immer nur fassungslos den Kopf geschüttelt. Wieder versucht ein Politiker, am rechten politischen Rand nach Wählerstimmen zu fischen. Im Grunde ist es eine einzige »Ausländer raus«–Kampagne. Ohne Rücksicht auf die vielen Ausländer, die sich an deutsche Gesetze halten und nicht kriminell sind, sondern, im Gegenteil, häufig selbst Opfer von Diskriminierung werden. Ein abfälliger Blick, ein Zurückweichen. Man muss nicht viel Worte machen, um seine Abneigung zu zeigen.

Um ein Zitat von SPD–Chef Kurt Beck abzuwandeln:
»Die Gastarbeiter, die ihre ganze Arbeitskraft in den Erfolg deutscher Unternehmen investiert haben, sind Herrn Koch und großen Teilen der CDU egal.«

Kein Wunder, dass Herr Koch Applaus von der NPD erhält.

Kindermund tut Wahrheit kund

Bislang hatte ich mich von Herrn Koch nur am Rande betroffen gefühlt. Immerhin bin ich ein gut ausgebildeter, gesetzestreuer Migrant, der zudem fehlerfrei Deutsch spricht und sich anzieht wie andere Deutsche auch. Als ich dann vor ein paar Tagen aber aus dem Supermarkt ging, riefen mir kleine Kinder »Chinese, Chinese« nach.

Da wurde mir bewusst, ich bin keiner von ihnen. Egal, wie gut ich mich anpasse, wie gut ich die Sprache spreche (meine tatsächliche Muttersprache), wie gut ich in der Schule war, dass ich bei der Bundeswehr meinen Wehrdienst abgeleistet habe (entlassen als Obergefreiter der Reserve), dass ich eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen habe (Bankkaufmann), dass ich ein Diplom habe – all das zählt reicht für die Integration offenbar nicht aus. Das, was offenbar zählt, ist meine »Hautfarbe«.

Wenn Politiker postulieren, es sei an uns Migranten, uns zu integrieren, indem wir uns an deutsche Werte halten (»deutsche Leitkultur«!), die deutsche Sprache sprechen und nicht straffällig werden, dann ist das eine Täuschung. Eine Täuschung und Irreführung, wenn das Ziel der Integration ist, dass Migranten ein Teil der deutschen Gesellschaft werden, wir gemeinsam eine Einheit bilden sollen.

Wenn Politiker erzählen, Migranten sollen sich benehmen wie Deutsche, dann meinen sie doch eigentlich, Migranten sollen Deutsche nicht belästigen durch ihr Verhalten, ihre Sprache, ihr Aussehen.

Und da stoße ich an meine Grenzen: Ich kann nichts dafür, dass meine Eltern aus Korea (nicht China!) kommen, noch muss ich mich dafür schämen. Ich habe halt Schlitzaugen und schwarzes Haar.

Und das ist das Problem: Ich sehe nicht aus wie ein Deutscher. Wie soll also ein Deutscher mich für einen Landsmann halten, wenn das Bild des Deutschen offenbar nur einen mitteleuropäischen Menschentyp zulässt? Ich weiche ab von der Norm, so sehr ich mich anpasse, so sehr ich mich anstrenge. Wie weit kann, wie weit muss Anpassung gehen?

»Der Deutsche mag es reinrassig«, lese ich heute auf Spiegel Online. Ja, das Wort »reinrassig« spukt auch mir seit Tagen im Kopf herum. Ich dachte eigentlich, das ist ein Wort aus dunkler Vorzeit, die »wir« mühselig, aber doch erfolgreich hinter uns gelassen hätten. Danke, Kinder, ihr habt mir die Augen geöffnet.

Jeder, der dem deutschen Ideal nicht entspricht, ist automatisch ein Ausländer. Und jeder Ausländer, der halt nicht Deutsch aussieht, spürt dies unbewusst oder nimmt dies bewusst wahr. Kein Wunder, dass sich eine Menge Frust ansammelt. Denn wohin gehören die hier geborenen Migranten? Zurück in die Heimat unserer Eltern?

Hier Ausländer, dort Ausländer

In Korea werde ich außerhalb der Familie als Deutscher, als Ausländer wahrgenommen.
Nicht mehr als Koreaner.
Weil ich kaum mehr Koreanisch spreche.
Und es ist ja nicht so, als ob in der Heimat meiner Eltern die Zeit stehen geblieben wäre. Jede Gesellschaft entwickelt sich weiter, jeder Mensch entwickelt sich weiter. Der Exilant entwickelt sich aber anders weiter als seine Landsleute in der Heimat. Und schon sind sie auch in ihrer ursprünglichen Heimat Fremde. Das gilt für ihre Kinder und Kindeskinder umso mehr. Und umso fester klammern sich unsere Eltern an die Werte und Traditionen, die sie in den 60er Jahren aus ihrer Heimat mitgebracht haben (wenigstens etwas vertrautes!) und die dort längst als altmodisch und überholt gelten.
Koreaner (und wie ich von türkischstämmigen Migranten höre, auch die Türken) sind wie die Deutschen: Jeder, der von der Norm abweicht, ist ein verdammter Ausländer. Abgrenzung und Diskriminierung ist leider ein menschliches Übel, das in jeder Gesellschaft und Kultur zu finden ist.
Punkt.
Insofern haben Deutsche, Türken und Koreaner doch wieder etwas gemeinsam.

Und wo wir bei Gemeinsamkeiten sind: Der Frust der Migranten rechtfertig in keinstem Fall die Gewalt an andere. Als ich die Bilder vom U–Bahn–Überfall sah, war ich genauso entsetzt wie jeder andere auch. Für mich stand und steht außer Frage, dass die Höchststrafe angemessen ist.
Aber genauso sah ich mich unten am Boden liegen, eine Gruppe von Rechtsradikalen auf mich eintretend und –schlagend. Seid ihr einmal mit dem Nachtbus nach Hause gefahren? Ich sag nur: einmal und nie wieder. Die Gewalt der Rechtsradikalen hat dieselben Wurzeln wie die Gewalt der kriminellen jugendlichen Ausländer. Fehlende Perspektiven, fehlende Möglichkeiten, sich zu entfalten und ein soziales Umfeld, das Gewaltbereitschaft fördert.

Was ist Integration?

Deutschland wird sich eines Tages entscheiden müssen, ob anders Aussehende zu Landsleuten werden sollen oder nicht. Denn unser Geld (Steuern) nimmt Deutschland gerne, unsere (gut ausgebildete) Arbeitskraft auch, die Arbeitsplätze, die wir schaffen, sowieso. Aber uns als Mensch scheint man nur zu dulden.

Natürlich müssen wir Migranten auch unseren Teil dazu tun, damit wir eines Tages die Chance haben, vollständig dazuzugehören.

Leider macht es das geistige Klima in Deutschland vielen Migranten einfach, sich abzugrenzen. »Ich bin Türke mit deutschem Pass« höre ich häufig, und ich bedaure es sehr. Ein wichtiges Zeichen, dass Migranten ein Teil dieser Gesellschaft werden wollen, ist für mich, den eigenen Kindern (auch) einen deutschen Vornamen zu geben. Als ich meine Eltern fragte, warum ich auch einen deutschen Vorname habe, erklärten sie, sie wollten nicht, dass ich in der Schule wegen meinem ausländischen Namen gehänselt werde. Auf der einen Seite fand ich das Verhalten meiner Eltern sehr vorausschauend. Auf der anderen Seite war ich traurig, dass meine Eltern mit Diskriminierung gerechnet haben.

Aber: dass ich einen deutschen und einen koreanischen Vornamen habe, gibt mir die Chance, mich mit beiden Kulturen anzufreunden, mich in beide Kulturen zu integrieren. Sowohl Migranten als auch Deutsche müssen, können mehr tun.
Und doch, es gibt auch positive Erfahrungen. Der Zeitschriftenhändler von nebenan, ein älterer deutscher Herr, strahlte mich gestern voller Freude an, gab mir die Hand zum Gruß und erzählte voller Stolz von seinem 35jährigen Geschäftsjubiläum, das er zum Jahresanfang gefeiert hatte. Zeigte mir den Zeitungsartikel mit Foto, auf dem er und seine Frau und ein Gratulant abgebildet waren. Wir unterhielten uns, von Mensch zu Mensch.

Miteinander reden und gegenseitiger Respekt können Brücken schlagen über kulturelle Unterschiede hinweg. Zwar glaube ich nicht, dass der Nachbar mich als seinen Landsmann betrachtet. Wahrscheinlich hat er darüber nie dachgedacht. Aber das spielt in diesem Fall auch keine Rolle, da er mich wie einen Mitbürger behandelt und nicht wie einen Ausländer.

Vielleicht hätte Herr Koch das auch tun sollen.
Vielleicht hätten ihn dann die Migranten, die in der Mehrheit eigentlich ziemlich konservativ eingestellt sind, auch zum Wahlsieg verholfen.
So darf Herr Koch nun auf Schützenhilfe aus dem rechten Lager hoffen.

Veröffentlicht von Gedankenreiter

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